Theo und Mirjam Graf stehen beide kurz vor der Pensionierung. Sie sind seit 38 Jahren verheiratet und haben zusammen vier Kinder. Momentan stehen sie mitten im Prozess, in ihr Tiny House in Gais AR zu ziehen. Ausschlaggebend dafür war, eine Wohnform zu finden, mit der sie ihren CO2-Fussabdruck reduzieren können. Im Interview erzählen sie uns mehr über ihre Beweggründe und über ihr Tiny House!
Warum habt ihr euch für das Leben in einer Kleinwohnform entschieden? Gab es einen Auslöser?
Mirjam: Wir wohnen momentan noch in Theos Elternhaus. Dieses ist jedoch total mit der Firma verstrickt. Das Wohnzimmer ist z.B. in ein Büro umfunktioniert worden. Das heisst, die Firma wuchs immer mehr in unser Wohnhaus hinein. Wenn du in einer solchen Situation pensioniert wirst, willst du nicht mehr am selben Ort bleiben. Es fehlt die Distanz.
Theo: Wir sagten also, dass wir dafür bis zur Pensionierung eine Lösung haben müssen. Hinzu kommt, dass mich das Thema Ökologie schon beschäftigte, als ich jung war. Dann stand aber 30 Jahre lang die Firma und die Familie im Vordergrund. Vor 5 Jahren, als ich nicht mehr Geschäftsführer der Firma war, hat sich das dann geändert. Der direkte Auslöser für ein Tiny House war für mich der Sonderbericht 2017 des Weltklimarates (IPCC), die Warnungen der Klimaforschenden und das Engagement der Fridays-for-Future-Jugend. Daraufhin habe ich mir persönliche Massnahmen überlegt, meinen CO2-Fussabdruck zu minimieren.
Wann werdet ihr definitiv ins Tiny House ziehen?
Theo: Ich werde vermutlich am 30. April im grossen Haus meinen Rucksack packen und die 10 km bis nach Gais zu Fuss zurücklegen. Diese Wanderung ist symbolisch. Ich gewinne Distanz und nehme erstmal nur das mit, was ich tragen kann. Ich werde ab dem 1. Mai definitiv im Tiny House wohnen. Ab dem ersten Tag, an dem ich pensioniert bin.
Mirjam: Als Lehrerin werde ich noch das Schuljahr beenden, bevor ich in Pension gehe und im Juli auch ins Tiny House ziehe. Für mich ist der Arbeitsweg sonst zu lang. Wir sind also sukzessive daran, am neuen Wohnort anzukommen und zu merken, was wir dort haben wollen/können und was nicht
Ihr wisst also noch nicht genau, was ihr aus eurem grossen Haus in euer Tiny House mitnehmen wollt?
Mirjam: Das wissen wir noch überhaupt nicht. Wir sind schon darauf reingefallen, dass im grossen Haus etwas klein erscheint, was im Tiny House aber riesig ist. Wir wollen das Tiny House nicht vollstopfen. Ich muss auch schauen, welche Pflanzen ich mitnehmen kann und welche nicht. Am liebsten würde ich aber alle mitnehmen.
Was war der grösste Kompromiss, den ihr eingehen musstet?
Mirjam: Wir haben das Tiny House als Paket gekauft. Wir sassen ein paar Mal mit Matthias Mösli, dem Erbauer, und Robert Kochgruber, dem Architekten, zusammen und haben definiert, was wir wollen und was nicht. Wir wollten z.B. keinen Dampfabzug. Wir konnten schon bei einigen Dingen mitreden. Jetzt denke ich jedoch, dass wir uns bei der Planung und der Ausführung mehr Zeit hätten nehmen sollen. So hätten wir verstanden, wieso etwas so gemacht wird, wie es gemacht worden ist, wie beispielsweise die Platzierung der Steckdosen.
Theo: Am Anfang gab es von Robert und Petra Kochgruber ein Konzept, dass sie umsetzen wollten. Etwa 80% von diesem Konzept stimmten mit meinen eigenen Ideen überein. Es gibt sogar noch zusätzliche Sachen wie den Holzofen oder das Dachfenster, welches man zum Lüften brauchen kann. Wenn es regnet, gehen sie dann automatisch zu.
Mirjam: Mir fehlen jetzt schon die ganzen Bäume, Vögel und Pflanzen, die es bei unserem grossen Haus gibt. Einfach, weil hier beim Tiny House noch nichts ist. Ich habe zuhause einen Mistelbaum, der jetzt schon drei bis vier Meter hoch ist. Den würde ich am liebsten mitnehmen, denn den habe ich noch selbst gesetzt. Ich habe noch Mühe damit, solche Sachen loszulassen.
Kleinwohnformen heisst minimieren. Würdet ihr euch als Kleinwohnformen-Bewohnende als minimalistisch bezeichnen?
Mirjam: Nein, überhaupt nicht. Ich finde nicht, dass wir minimalistisch sind. Dann hätten wir z.B. unseren Gefrierschrank nicht. Eigentlich könnte man alles reduzieren. Unser Tiny House ist nicht minimalistisch. Es gibt Sachen, auf die ich nicht mehr verzichten möchte, weil wir im Leben an einem anderen Ort stehen. Der Platz hier ist minimal, aber wir reden davon, dass die Schallplatten mitkommen. Die müsste ich eigentlich loslassen. Auch bei anderen Sachen muss ich schlucken. Aber ich arbeite daran, loszulassen. Es gibt z.B. diesen Schrank, den ich schon seit der Kindheit habe und der jetzt einfach keinen Platz hat. Ausserdem haben wir im Tiny House ein Tablet, mit dem wir Verschiedenes steuern können. Das ist doch nicht minimalistisch.
Theo: Wenn es um unseren Fussabdruck geht, wollen wir ein Resultat erreichen. Aber so, dass wir nicht auf zu viel Komfort verzichten müssen. Wir leben also auf kleineren Raum, der sehr gut isoliert und ausgeklügelt ist. Es gibt im Verein Kleinwohnformen Leute, die nur auf 12 m2 wohnen. Das ist eher minimalistisch. Gleichzeitig haben wir uns in einer Zwischennutzung mal eine Jurte angeschaut. Aber selbst dort hatte es einen Kühlschrank und einen Fernseher. Wir haben jetzt in unserem Tiny House keinen Fernseher mehr, aber wir werden im Internet z.B. trotzdem die Tagesschau anschauen.
Was sind die Eckdaten von eurem Tiny House?
Theo: Unser Haus hat eine Grundrissgrösse von 32 m2. Die Wände sind 27 cm dick und wenn man das abzieht, dann bleibt eine Wohnfläche von 25,5 m2. Ich wollte noch einen kleinen Anbau haben. Der ist momentan noch nicht fertig. Das ist eine Werkstatt für mich. Die ist 6 m2 gross. Natürlich braucht man diesen Raum auch, um Sachen zu lagern. Zusätzlich haben wir einen doppelten Boden, den wir als Stauraum nutzen und der durch ein Dutzend Klappen im Boden zugänglich ist. Eine Photovoltaik-Anlage erzeugt die elektrische Energie, die laufend verbraucht beziehungsweise in einem 5 kWh-Akku gespeichert wird. Wenn dieser geladen ist, wird die Energie ins Netz abgegeben.
Wie habt ihr euch inspirieren lassen, bevor ihr euer jetziges Tiny-House-Paket gefunden habt?
Mirjam: In Basel war mal eine Ausstellung mit Tanja Schindler, wo wir uns Kleinwohnformen angeschaut haben. Gleichzeitig waren wir auch bei Franziska Jud in Zofingen. Sie hat ihr Tiny House mit Holz100 und einem eigenen, autarken Wasserkreislauf gebaut. Dann haben wir in einem Wohnwagon der Firma WW Wohnwagon GmbH aus Österreich über Weihnachten/Neujahr in der Nähe von München zur Probe gewohnt. Wir dachten uns, dass wir das Leben im Tiny House ausprobieren müssen, wenn es kalt ist und man nicht einfach raus kann. Also haben wir ausprobiert, wie es ist, wenn man eine Woche nicht ausweichen kann. Beim Probewohnen haben wir dann gemerkt, dass es funktionieren würde. Selbst bauen, einen Stellplatz suchen und eine Baubewilligung bekommen, ist aber nicht einfach und kostet Geld und Zeit. Irgendwann stiessen wir dann auf unser jetziges Tiny-House-Projekt von Matthias Mösli und Robert Kochgruber.
Hättet ihr euer Tiny House im Nachhinein gerne selbst gebaut?
Theo: Dafür habe ich zu wenig handwerkliche Fähigkeiten. Ein Haus bauen ist hohe Schule. Man braucht einen Zimmermann für die ganze Struktur und Statik. Ich hätte sicher Kollegen gefunden, die mir geholfen hätten, aber das wäre ein Prozess von zwei bis drei Jahren geworden. Dementsprechend entschieden wir uns dann für dieses Projekt, damit wir unsere Zeit in andere Dinge investieren können.
Worauf seid ihr besonders stolz an eurem Heim?
Theo: Ich habe lange im Fensterbau-Metier gearbeitet. Ich habe deswegen bei den Fenstern in der Tiny-House-Siedlung mitgewirkt. Es sind Holzfenster, die man gegen aussen öffnen kann. Die kommen uns dadurch nicht in den Weg und man kann das Fenstersims benutzen.
Mirjam: Es gehen eigentlich alle Fenster nach aussen auf, ausser die Fenstertüren im Schlafzimmer und im Wohnzimmer.
Theo: Auch die Fenstertüren sind schmal gehalten, damit sie uns nicht so fest stören. Sie sind mit Verbundsicherheitsglas aufgebaut. Das hält UV-Strahlen ab, ist einbruchhemmend und hat Schallschutz. Auch hier: Die Fenster sind nicht minimalistisch. Das war mein Metier. In der Firma verkaufen wir vor allem Spezialanfertigungen und keine 0815 Sachen. Ein paar dieser Spezialitäten sind jetzt im Tiny House integriert.
Wie fühlt ihr euch in Bezug auf den Umzug?
Mirjam: Da ist immer noch der Aspekt des Loslassens. Was bleibt im alten Haus? Was kommt mit? Es sind gemischte Gefühle. Auf einer Skala von Null – “Nicht wollen” bis Zehn – “Wieso nicht schon heute?” bin ich schon über die Hälfte. Ich komme da schon auf eine sechs bis sieben.
Theo: Da bin ich durchschnittlich zwei Punkte höher. Aber Spannung liegt in der Luft. Nur Euphorie wäre übertrieben.
Was würdet ihr anderen Leuten raten?
Theo: Wagt diesen Schritt! Die Reaktionen von Freunden und Bekannten zeigt ein grosses Interesse am Reduzieren in jeder Beziehung. Sie fanden das cool, wollten wissen, wie das funktioniert und mal vorbeischauen. Wenn ihr also nur schon im Entferntesten daran denkt, dann macht den Schritt mit den Ideen des Reduzierens.
Zum Schluss: Was sind eure persönlichen, positiven Aspekte davon, in einem Tiny House zu leben?
Theo: Positive Aspekte sind, dass wir jetzt schon wissen, dass wir in einer gesunden Umgebung wohnen. Bedingt durch die natürlichen Materialien wie z.B. das Holz. Ansonsten können wir noch nicht sagen, wie es uns ergeht. Ein weiterer positiver Aspekt ist aber, dass wir mehr Zeit für Menschen haben, grösstenteils bedingt durch die Pensionierung. Und natürlich haben wir durch das Tiny House einen geringeren Energieverbrauch und dadurch einen geringeren CO2-Fussabruck.
Mirjam: Weil wir ab Juli nicht mehr arbeiten, wird das eine grosse Umstellung. Das ist eine Herausforderung für uns, bei der wir dann gemeinsam nach Lösungen suchen werden. Theo und ich gehen sozusagen gemeinsam in dieselbe Richtung.
Danke!
Vielen Dank an Mirjam und Theo für das offene Gespräch – es war eine Freude, mehr über euch und euer Tiny House zu erfahren. Wir wünschen euch einen entspannten Umzug und ein gutes Einleben. Mögen die Schallplatten und die ein oder andere Pflanze, auch im neuen Zuhause einen gebührenden Platz finden.
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