Die Bereitschaft, in Kleinwohnformen zu leben, steigt kontinuierlich – eine aktuelle Studie der Hochschule Luzern zeigt, dass bereits 50 % der befragten Menschen sich ein Leben auf kleinerem Raum vorstellen können. In kleinen Wohnräumen gelten spezifische Gestaltungsprinzipien, die entscheidend sind, um Komfort, Wohlbefinden und Gesundheit zu sichern. Doch welche Faktoren sind dabei besonders wichtig?
In diesem Artikel schauen wir uns mit der Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie, Manuela Schmid an, wie man auch auf begrenztem Raum eine hohe Lebensqualität erreichen kann.

Selina Lutz, Mitglied im Verein Kleinwohnformen und Senior Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur an der Hochschule Luzern, hat ein vom Bund mitfinanziertes Forschungsprojekt zu Kleinwohnformen geleitet. An der Studie nahmen 1’200 Personen teil. Die Ergebnisse zeigen, dass sich mittlerweile ungefähr die Hälfte der Befragten vorstellen kann, in einer Kleinwohnform zu leben. Die andere Hälfte nicht.

Für die, die bereits auf kleinem Raum leben, spielen Aspekte wie natürliche Belichtung und Belüftung eine wichtige Rolle. Personen, die schon in einer Kleinwohnform leben, legen zudem besonderen Wert auf Praktisches wie beispielsweise ausreichenden Stauraum und private Rückzugsorte. Für diejenigen, die bisher keine Erfahrungen mit Kleinwohnformen gesammelt haben, stehen der Ausblick, der Zugang zur Natur und der Einsatz natürlicher Materialien im Vordergrund.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Qualität des Wohnraums nicht mit der Grösse zusammenhängt, sondern vielmehr mit der Ausstattung und Atmosphäre. Doch was genau ist «Atmosphäre»?

Die Atmosphäre eines Raumes ist eine nicht messbare Stimmung, die aus der Wechselwirkung zwischen Raum, Gegenständen und Menschen entsteht. Besonders in kompakten Wohnräumen ist die sorgfältige Gestaltung der Atmosphäre massgeblich, um ein Gefühl von Geborgenheit und gleichzeitiger Weite zu schaffen. Dies, damit sich die Bewohner:innen trotz begrenzter Fläche wohl und nicht eingeengt fühlen. Wie man eine Wohlfühlatmosphäre schafft, erklärt die Architektin BA FHZ & Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie AAP, Manuela Schmid, in unserem Interview.

Wie beeinflusst die begrenzte Fläche einer Kleinwohnform das Wohlbefinden und die psychologische Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner?

Im Grunde genommen beeinflussen alle Räume, ob gross oder klein, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit – vor allem, wenn wir uns über einen längeren Zeitraum darin aufhalten. Die begrenzte Fläche kann sowohl einen positiven als auch einen negativen Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben. Man kann sich in einem kleinen Wohnraum sehr wohl fühlen, wenn dieser Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Man hat alles im Blick und kann sich in eine kleine kuschelige Nische zurückziehen. Ausserdem bietet eine begrenzte Fläche kurze Wege, und der Hausputz ist schnell erledigt.

Auf der anderen Seite kann ein kleiner Wohnraum auch einengend wirken, weil keine Möglichkeit besteht, mal an einen anderen Ort zu sitzen oder einen anderen Ausblick zu geniessen. Solche «Einbussen» können langfristig die psychische und körperliche Gesundheit beeinträchtigen. Daher ist es wichtig, dass, wenn die Fläche des Wohnraums aufs Minimum begrenzt ist, die Bedürfnisse der Bewohner:innen maximal berücksichtigt werden.

Welche Rolle spielt die Gestaltung des Raumes in Kleinwohnformen für die Schaffung einer positiven Atmosphäre, und welche Gestaltungselemente empfiehlst du besonders?

Eine positive Atmosphäre kann durch viele Planungsaspekte und Gestaltungselemente erreicht werden. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Einrichtung etwas Individuelles ist. Jede:r hat eine andere Stilrichtung, einen anderen Geschmack, und diese gilt es zu berücksichtigen. Es gibt aber Bedürfnisse, die allgemeingültig sind und auf jede und jeden, zumindest mehr oder weniger stark, zutreffen: Beispielsweise sind bei den Farben für den Wohnbereich eher beruhigende Farben wie Grün, Blau oder Rosa empfehlenswert. Bei den Materialien ist ein Mix aus natürlichen, schallweichen Oberflächen (wie Holz, Textilien), den hallharten (wie Beton, Steinplatten) vorzuziehen. Und was gerne vergessen wird, aber ebenso wichtig ist wie Farben und Materialien, ist das Licht.

Die Beleuchtung trägt massgeblich zur Atmosphäre bei. Hier würde ich empfehlen, auch wenn der Wohnraum klein ist, auf unterschiedliche direkte und indirekte Lichtquellen zurückzugreifen. Idealerweise können die Leuchten flexibel ein- und ausgeschaltet sowie die Lichtfarbe reguliert werden. Tagsüber greift man lieber auf kühles, blaues Licht zurück, während man abends wärmeres, rötlicheres Licht bevorzugt.

Pflanzen spielen auch immer eine wichtige Rolle, sei dies im Raum selbst oder über den Ausblick in den Aussenraum. Die Fenster sollten daher in einem angemessenen Grad vorhanden sein. Also keine Glasbox, sondern bewusst gesetzte Fenster mit naturnahem, erlebnisvollen Ausblick. Der Blick ins Grüne suggeriert dem Unterbewusstsein Entspannung und trägt so wiederum zum Wohlbefinden bei.

Das Pendant zum Ausblick ist der Einblick: Hier wäre es wichtig, dass es beispielsweise mit Vorhängen regulierbar ist, ob jemand hineinschauen kann oder nicht. Wenn sich die Bewohner:innen von unkontrollierbaren Einblicken beobachtet fühlen, wird sich keine Wohlfühlatmosphäre einstellen.

Gibt es spezifische Farben oder Materialien, die du für die Inneneinrichtung von Kleinwohnformen empfiehlst, um das Gefühl von Weite und Ruhe zu fördern?

Eine durchdachte Gestaltung beginnt mit der Auswahl des richtigen Materials und der optimalen Nutzung von Licht. Martin V. Schuster, Geschäftsführer von Swiss Modular Building, betont: «Unsere Bestrebungen gehen weit über das blosse Bauen hinaus. Wir schaffen Räume, die nachhaltig und funktional sind und das persönliche Wohlbefinden unterstützen. Die Wahl von Öko-Stahl und unser Engagement für Energieeffizienz sind die Basis. Die verwendeten Materialien im Innern sind es aber letztendlich die Atmosphäre schaffen und die Räume zu einem Zuhause machen».

Durch die gezielte Platzierung von Fenstern und die Integration von Lichtkonzepten, die sowohl natürliches als auch künstliches Licht berücksichtigen, wirken selbst die kleinsten Räume offen und luftig. Diese bewusste Entscheidung für Helligkeit und Transparenz ist grundlegend, um eine Atmosphäre der Weite und Freiheit zu schaffen.

Wie können Bewohnerinnen und Bewohner von Kleinwohnformen ihre Räume optimal nutzen, um sowohl Privatsphäre als auch Gemeinschaftsgefühl zu unterstützen?

Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt. Auch auf kleinem Wohnraum sollte sowohl Gemeinschaft als auch Privatheit funktionieren.

Innerhalb der Wohnung unterscheidet man aus wohnpsychologischer Sicht zwischen Intimitätsbereichen, persönlichen Bereichen und Gemeinschaftsbereichen. Wenn mehrere Personen im gleichen Haushalt leben, ist es wichtig, dass jede:r (ob Kind oder Erwachsener) einen eigenen Bereich hat. Wenn kein eigener Raum zur Verfügung steht, könnte man zum Beispiel mithilfe eines Raumtrenners oder einer Wandfarbe eine Raumnische mit einem gemütlichen Sessel oder Arbeitsplatz einrichten. Auf die Grösse kommt es nicht an, sondern darauf, dass der Bereich dem Individuum den «Raum für sich» bietet.

Wenn es um das Gemeinschaftsgefühl einer Community geht, also beispielsweise in einer Kleinwohnform-Siedlung, wäre es wichtig, klare Zonen zu schaffen, die entweder gemeinschaftlich oder privat genutzt werden. Gemeinschaftsräume liegen dann idealerweise «am Weg» und nicht «im Weg». Damit ist gemeint, dass die gemeinschaftlich genutzten Räume an einem gut erreichbaren Ort sein sollten, wo man immer entscheiden kann, ob man hingehen möchte oder nicht. Ausserdem sollten Gemeinschaftsräume eine hohe Affordanz aufweisen, also genügend Anreiz oder Grund bieten, überhaupt erst dorthin zu gehen, wie beispielsweise eine Waschküche, Gemeinschaftsküche, Büchertausch usw.

Welche psychologischen Strategien könnten helfen, eventuelle Herausforderungen des Wohnens auf kleinem Raum, wie das Gefühl von Beengtheit, zu überwinden?

Die visuellen, räumlichen Gegebenheiten wirken sich stark auf die psychologische Wahrnehmung aus. Die Verkaufspsychologie kennt viele solche Strategien, wie beispielsweise in einem Einkaufszentrum, wo der Bodenbelag ändert, wenn man von der Erschliessungs- bzw. Bewegungszone zur Ladenzone wechselt. Dieser feine Materialwechsel suggeriert unbewusst den potenziellen Käufer:innen, dass sie langsamer durch die Regale schlendern und etwas kaufen sollen. Das veranschaulicht, dass sich unser Gehirn «austricksen» lässt.

Bei kleinen Räumen ist oft das Ziel, dass der Raum grösser wirken sollte, als er flächentechnisch ist und gleichzeitig alles bietet, was man benötigt. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Grundsätzlich lieber hellere Farben wählen als dunklere, weil dunkel näher und hell weiter weg erscheint.
  • Indirektes Licht vergrössert oftmals auch den Raum, weil unterschiedliche Ebenen entstehen.
  • In einem kleinen Raum ist natürlich auch Multifunktionalität gefragt. Beispielsweise sind Möbel, die gleichzeitig eine Staufläche beinhalten, sehr praktisch. Oder wenn man überhohe Räume hat, kann man einen Bereich mit einem Zwischenpodest ausstatten, sodass ein zusätzlicher Raum entsteht.
  • Es kann auch spannend und grösser erscheinen, wenn ein Raum nicht auf den ersten Blick erfasst werden kann, sondern hinter jedem Raumtrenner wieder etwas Neues entdeckt wird.
  • Was bei kleinen Räumen auch immer wichtig ist: Lieber wenig Ausstattung, dafür die richtige. Weil zu viel (Möbel, Deko usw.) mehr Unruhe bedeutet.

Natürlich gibt es gemäss Ratgebern noch zahlreiche andere Möglichkeiten, einen Raum optisch grösser wirken zu lassen. Es ist aber Vorsicht geboten, dass nicht der gegenteilige Effekt von «alles ist vollgestellt» eintritt. Es gibt kein Patentrezept. Die räumliche Situation ist immer im konkreten Fall mit den Bewohner:innen abzustimmen, sodass aus der minimalen Wohnfläche wirklich das Maximum herausgeholt werden kann.

Danke für das Gespräch, liebe Manuela.
Das Interview führte Diana Fry.

Manuela Schmid

ÜBER MANUELA

Manuela Schmid ist Architektin BA FHZ & Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie AAP