Minimalismus und multifunktionales Design sind auf kleinem Raum keine Frage des Geschmacks oder Trends. Sie sind das grundlegende Designprinzip bei der Architektur und Raumgestaltung von Kleinwohnformen. Zwangsläufig. Eigentlich erstaunlich, dass es nicht die Schweizer waren, die diese Wohnform erfunden haben, denn sie passt zur Schweiz wie der Apfel auf den Kopf von Wilhelm Tells Sohn.

Die Schweiz gehört zu den kleineren Ländern der Welt – kompakte Wohnlösungen wären also naheliegend. Zudem werden den Schweizern Bescheidenheit und Präzision nachgesagt. Ersteres ist essenziell für das Leben auf kleinem Raum, Letzteres notwendig, damit alles auf engem Raum funktioniert. Und auch eine der bekanntesten Schweizer Errungenschaften, das Taschenmesser, weist erstaunlich ähnliche Eigenschaften auf: alles, was man braucht, raffiniert kombiniert, kompakt und mulitfunktional.

Multifunktionales Design als Schlüsselprinzip

Die Reduktion des Raums erfordert intelligente und flexible Designlö- sungen. Das bedeutet: Jedes Möbelstück, jeder Raum und jede Fläche muss mehrere Funktionen erfüllen können. Und mehr als das. Sie müssen auch gegenseitig Funktionen übernehmen. Gebäude, Raum und Möbel werden nicht isoliert betrachtet und sequenziell gestaltet, sondern alles zusammen. Von An- fang an muss alles mitgedacht wer- den, damit die Reduktion der Fläche keine Einbussen bei der Lebensqualität und Alltagstauglichkeit zur Folge hat.

Diese Art von Architektur ist anspruchsvoll, denn sie erfordert die Fähigkeit, über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinauszuschauen und die Gestaltung des Raums kompromisslos auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner und Anforderungen der spezifischen Situation auszurichten.

Architektur gestaltet nicht ein Gebäude, sondern den Lebensraum, mit direkten Konsequenzen für den Alltag der Menschen, die darin wohnen. Dabei muss immer alles miteinander verknüpft und ganzheitlich betrachtet werden. Ein bisschen wie Tetris spielen und alle möglichen und unmöglichen Optionen und Kombinationen gedanklich durchspielen. Auf den ersten Blick hat ein Stauraum für Gartenmöbel im Aussenbereich nichts mit einer Sitzgelegenheit im Innern zu tun. Und die Schlafzimmertreppe nichts mit einem Gartentisch. Durch kreative Verknüpfungen von unterschiedlichsten Anforderungen und Elementen entstehen intelligente, platzsparende Lösungen, die oft in der Gebäudearchitektur gefunden werden.

Innenraum einer Kleinwohnform mit Stuhl, der aus der Wand geklappt werden kann gross im Vordergrun
Ein Stuhl aus einem Wandpaneel – vor allem auf kleinem Raum ist funktionales Design essenziell.

Polyfunktionalität – zukunftsweisendes Wohnkonzept

Die zunehmende Urbanisierung und steigende Wohnkosten erfordern neue Lösungen in der Gestaltung von Wohnraum. Polyfunktionale Architektur, insbesondere in Form von Kleinwohnformen, ist eine Antwort auf diese Herausforderungen. Diese effizientere Nutzung des verfügbaren Raums führt nicht nur zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen, sie macht Wohnraum auch bezahlbarer und führt – dem Zeitgeist entsprechend – zu weniger und bewussterem Konsum.

„Living Big in a Tiny House“ porträtiert besonders intelligente und wandelbare Kleinwohnformen aus der ganzen Welt. Eine Inspirationsplattform mit über 4 Millionen Followern auf Youtube.

In der Schweiz liegt das Potenzial für diese neue Form der Architektur noch weitgehend brach. Wie lange noch?

Dieser und weitere spannende Artikel zu zeitgeistigen Architektur-Themen findet ihr in der aktuellen Ausgabe der Architektur-Zeitschrift moduør. Mehr Perspektiven auf das Thema Kleinwohnformen auf unseren Social Media Profilen Linkedin, Instragram und Facebook.

Danke an Leonardo Di Chiara für die Bilder.