Städte gelten als Inbegriff von Stabilität. Sie wachsen über Jahrzehnte, werden aufwendig geplant, gebaut, reguliert – in der Annahme, dass sich Zukunft berechnen lässt. Doch wie tragfähig ist dieses Denken in einer Zeit, die von Unsicherheit und schnellem Wandel geprägt ist? Klimakrise, Ressourcenknappheit, Migration, neue Lebensstile – all das fordert eine andere Haltung in der Stadtentwicklung.

Vielleicht ist es an der Zeit, von den Nomaden zu lernen

In vielen Kulturen war Mobilität nie die Ausnahme, sondern Alltag. Behausungen wurden nicht für die Ewigkeit errichtet, sondern passten sich flexibel an Bewegungsströme und wechselnde Bedürfnisse an. Heute erleben wir Fragmente dieser Logik höchstens noch bei Festivals und Zwischennutzungen. Hier wird innerhalb von Tagen eine Infrastruktur für Tausende, manchmal Zehntausende temporäre Bewohner und Besucher errichtet. Ein funktionierendes Pop-up-System geschaffen, das sich später wieder in Luft auflöst. Was wäre, wenn wir das Prinzip der Leichtigkeit zum neuen Standard für unsere Städte machen würden?

Stadt als Baukasten

Die Zukunft der Stadt könnte beweglicher, temporärer, modularer sein. Statt starre Masterpläne für Jahrzehnte zu entwerfen, könnten urbane Räume als offene Systeme verstanden werden – mit flexiblen, rückbaubaren Bausteinen. Kleinwohnformen wie Tiny Houses, modulare Systembauten oder mobile Container bieten dafür ein enormes Potenzial.

Gerade in der Schweiz, wo Raum knapp und teuer ist, könnte dieser Ansatz ein entscheidender Hebel sein. Denn statt teure, langfristige Grossprojekte zu realisieren, könnte man Quartiere aus mobilen, leicht versetzbaren Einheiten entwickeln. Wohncluster, die sich je nach Bedarf verdichten, verschieben, auflösen – oder völlig neu zusammensetzen lassen.

Andocken statt abreissen

Modularität eröffnet nicht nur neue Wege für Neubauten, sondern auch für den Umgang mit Bestehendem. Statt ganze Areale abzureissen, könnten Kleinwohnformen an bestehende Strukturen andocken, Zwischenräume beleben, temporär Brachen aktivieren. Vorgefertigte Module lassen sich ohne grosse Eingriffe installieren und später wieder entfernen.

Stadtentwicklung wird so zu einem fluiden, lebendigen System: heute ein mobiler Wohncluster, morgen ein Quartiertreffpunkt, übermorgen vielleicht ein temporärer Co-Working-Space. Die Stadt wird zum flexiblen Gefüge, das sich an den Rhythmus der Menschen anpasst – nicht umgekehrt.

Von der Nische zum Modell

Noch gelten Kleinwohnformen in der Schweiz oft als Nischenphänomen – für alternative Lebensstile, Zwischennutzungen oder Pilotprojekte. Doch ihr wahres Potenzial geht weit darüber hinaus. Sie könnten das Grundgerüst für eine sozial und ökologisch verträgliche Stadtentwicklung werden.

Denn Kleinwohnformen sind nicht nur kompakt und ressourcenschonend. Sie eröffnen auch neue Möglichkeiten für gemeinschaftliches Wohnen, für durchlässige Nachbarschaften, für urbane Freiräume. Das Quartier der Zukunft könnte ein temporäres sein – leicht, anpassungsfähig, bewusst unperfekt

Realistische Utopie?

Mag die Idee einer komplett mobilen Stadt zunächst utopisch klingen, zeigt doch die Realität: Beweglichkeit wird zur Überlebensstrategie. Statt Städte in Beton zu giessen, könnten wir beginnen, sie als Bühne für Wandel zu gestalten. Klein- wohnformen wären dabei keine Reduktion, sondern eine Einladung: zu mehr Agilität, mehr Durchlässigkeit, mehr Möglichkeitsräumen.

Vielleicht liegt die Zukunft unserer Städte nicht in monumentalen Bauwerken, sondern in kleinen, beweglichen Einheiten. Nicht statisch, sondern dynamisch.

Nicht für die Ewigkeit, sondern für den Moment – und bereit, sich immer wieder neu zu erfinden.

In der Schweiz liegt das Potenzial für diese neue Form der Stadtgestaltung noch weitgehend brach. Wie lange noch?

Dieser und weitere spannende Artikel zu zeitgeistigen Architektur-Themen findet ihr in der aktuellen Ausgabe der Architektur-Zeitschrift moduør. Mehr Perspektiven auf das Thema Kleinwohnformen auf unseren Social Media Profilen Linkedin, Instragram und Facebook.